Es geht aufwärts, Freunde!

Seit der Präsidentschaftswahl schreibt der Schriftsteller T.C. Boyle für uns in Briefen darüber, wie es in den USA nun weitergeht: Folge 4 handelt von der Sorge, nicht schnell genug geimpft zu werden, der Covid-Erkrankung Rudy Giulianis und der wachsenden Vorfreude auf Joe Biden.

Foto: Peter-Andreas Hassieben, Hanser-Verlag

Anfang der Woche habe ich eine SMS von meinem Arzt gekriegt, er hat mich ermahnt, zu Hause zu bleiben, entsprechend der neuesten Anordnung des Gouverneurs. Die Covid-19-Fälle explodieren in der ganzen Gegend, nicht nur in Los Angeles, auch hier in Santa Barbara. Kurz darauf rief mein Sohn, Dr. Boyle der Jüngere, aus Los Angeles an und erzählte, dass praktisch jeder Patient, der in letzter Zeit durch die Türen seines Krankenhauses kam, egal mit welchen Beschwerden – gebrochene Gliedmaßen, abgetrennte Finger, allgemeines Unwohlsein und viel Schlimmeres – zusätzlich auch mit dem Virus infiziert war. Tatsächlich eine erschütternde Nachricht. Dabei steht der Impfstoff schon bereit, der Impfstoff, auf den ich so sehnlichst warte.

Sowohl mein Arzt als auch mein Sohn werden kommende Woche geimpft, wie alle anderen Mitarbeiter des Gesundheitswesens auch. Danach werden die Bewohner der Pflegeheime geimpft, ein paar Wochen später stehen die älteren Menschen an für ihre Injektionen. Dann der Rest der Bevölkerung. (Außer natürlich die »Anti-Vaxxer«, die Impfgegner, die sich auch jetzt nach genau den rechtslastigen Desinformationsdiensten richten, die uns schon Trump beschert haben.) Ich für meinen Teil befinde mich in einem Zustand großer Angst – ich möchte nicht der letzte Soldat sein, der auf dem Schlachtfeld stirbt, genau in dem Moment, in dem der Waffenstillstand unterzeichnet wird.

Apropos, von Rudolph Giulianis Covid-19-Infektion habe ich mit durchaus grimmiger Genugtuung gelesen. Er kriegt genau das, was er verdient. Weil er weiterhin Kundgebungen abhält und Trumps Scheinargumente für die Annullierung der Wahl verbreitet. Und doch ist es traurig, wenn man bedenkt, wie viele verblendete Unschuldige er dabei schon infiziert hat.

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Giulani kriegt 20.000 US-Dollar am Tag für seine Dienste, heißt es (ich frage mich, ob das auch für Wochenendtage gilt?). Horchen Sie mal in sich rein: Wie weit würden Sie sich für so viel Geld erniedrigen? Wie weit würden Sie mit den Verleumdern und Prinzipienlosen kollaborieren? Ist Geld alles, was zählt? Für Rudy wird sich das alles zusätzlich auszahlen, wenn er eines Tages ein Buch schreibt (oder besser gesagt, schreiben lässt). Das Buch kaufen sie dann wie verrückt, die Leichtgläubigen, die Irregeleiteten, die »Anti-Vaxxer« und »Anti-Masker« und Trumpisten.

Und ich? Ich denke einstweilen vor allem an die unmittelbare Zukunft. Trump wird weg sein, Amerika tritt dem Pariser Klimaabkommen wieder bei, das Virus ist auf dem Rückzug, und vielleicht, wenn die Atmosphäre nicht schon unrettbar zerstört ist, wird der Frühling kommen. Bis dahin freuen wir uns darauf, Joe Biden im Weißen Haus zu sehen. Bin ich von ihm begeistert? Ja. Zugegeben, er ist weniger ein Heilsbringer als vor allem der Anti-Trump, und ich hätte tatsächlich jeden beweglichen Fleischklumpen unserem Möchtegern-Diktator vorgezogen. Aber ich habe Biden nicht aus kalter Berechnung gewählt. Er bringt uns das, wofür die Demokraten stehen, die Werte, die auch ich vertrete – Bildung, Wahrheit, Wissenschaft, Umweltschutz, Frauenrechte, Multikulturalismus, Chancengleichheit. Das ist alles weit entfernt von dem, was wir in den letzten vier Jahren ertragen haben.

Was ich damit sagen will? Es geht aufwärts, Freunde. Fühlt euch gesegnet. Und behaltet eure Masken noch ein kleines bisschen länger auf.