Das fremde Land gleich nebenan

Was ist in den USA kaputtgegangen in vier Jahren unter Donald Trump? Und wie macht das Land jetzt weiter? Der Schriftsteller T.C. Boyle schreibt uns Briefe aus Kalifornien. Folge 1: Wenn sich Nachbarn nicht mehr über den Weg trauen.

Foto: Peter-Andreas Hassieben, Hanser-Verlag

Ich wohne in einem blauen Viertel, in einer blauen Stadt, im blauesten Bundesstaat der Vereinigten Staaten. Im Vorfeld der Wahl habe ich nur ein einziges Vorgartenschild für Trump gesehen, in einem Meer von Biden-Schildern, und das hatte jemand verkritzelt. Einen Tag später war es verschwunden. Ich bitte also um Entschuldigung, wenn ich mir bislang eingebildet habe, dass all meine guten, freundlichen und wunderbaren Nachbarn meine politischen Ansichten teilen. Die einzigen politischen Ansichten, die es geben kann, wenn das ganze Land von einem Autokraten bedroht wird, dessen einziger Wunsch es ist, sich mit allen Mitteln an der Macht festzuhalten.

Ein paar Tage vor der Wahl ging ich mit meinem Hund um den Block und grüßte unterwegs einen Nachbarn, den ich nur flüchtig kenne. Ich hatte bisher immer nur sehr freundlichen Kontakt mit ihm, seit er nach dem Tod seiner Mutter vor einigen Jahren ihr Haus übernommen hat. Seine Mutter kannten wir, meine Familie und ich, recht gut – als meine Kinder klein waren, gab sie ihnen jede Woche Deutsch-Unterricht. Als ich also vorbeikam (zugegebenermaßen angespannt wegen der Wahl, nahezu verzweifelt beim Gedanken an das Unheil, das nach wie vor über unseren Köpfen hing), sagte ich zu ihm, wir müssten zwar noch mit der Pandemie fertig werden, aber zumindest hätten wir nach der Wahl endlich die Faschisten aus dem Weißen Haus geworfen. (Und ja, ich nenne Trump und seine Truppe Faschisten, sowohl im sachlich beschreibenden wie auch im abwertenden Sinn). Mein Nachbar, Herr D., antwortete nicht, und dann war ich auch schon weitergegangen.

Er ist ein hochgebildeter, intelligenter und freundlicher Mann in den Sechzigern, der meiner Meinung nach am allerwenigsten auf rechte Propaganda hätte hereinfallen dürfen. Ist er aber.

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Ein paar Tage später, nach der Wahl, traf mein Schwiegersohn Herrn D. auf der Straße, sie kamen ins Gespräch. Beide stöhnten über den Stand der Dinge, das Wahlergebnis war immer noch nicht offiziell bekanntgegeben, aber nach ein paar Sätzen merkten sie, dass sie auf verschiedenen Seiten standen. Herr D. käute Trumps Desinformation wieder, die Wahl sei manipuliert worden, und mein Schwiegersohn echauffierte sich über Trumps Weigerung, die klare und umfassende Niederlage einzuräumen. Ein unangenehmer Moment. Dann verabschiedeten sich beide.

Die Frage ist jetzt, wie gehe ich in Zukunft mit so etwas um? Ich hoffe, dass der Kontakt zu meinem Nachbarn so zwanglos und freundschaftlich bleibt, wie er immer war. Er ist ein hochgebildeter, intelligenter und freundlicher Mann in den Sechzigern, der meiner Meinung nach am allerwenigsten auf rechte Propaganda hätte hereinfallen dürfen. Ist er aber. Und jedes Mal, wenn ich ihn in Zukunft sehe, wird die Tatsache, dass ich das jetzt weiß, zwischen uns stehen. Und wenn er mich sieht, wird er sich natürlich vorstellen, dass ich einer bin, der Trump, seine Schergen und seine verblendeten Wähler als absolut unterste Schublade verachtet. Was soll ich dazu sagen? Er hat recht.