Wie geht man mit Oversharing um?

Unser Leser wird von einer Jugendfreundin kontaktiert, die ihm ihre psychischen Probleme detailliert schildert. Er ist davon überfordert und lässt heimlich seine Frau antworten. Ist das in Ordnung?

Illustration: Serge Bloch

»Eine Freundin aus der Jugendzeit hat angefangen, mir Whatsapp-Nachrichten zu schreiben und von ihren Problemen zu erzählen. Wir hatten in den letzten zehn Jahren nur sporadisch Kontakt. Seit einiger Zeit hat sie eine schwere psychische Krise, ist auch in Behandlung. Sie sagt, es helfe ihr, ihre Gedanken aufzuschreiben. Ich fühle mich oft überfordert damit und weiß nicht, was ich antworten soll. Ich habe meine Frau eingeweiht, sie kennt meine Freundin. Nun antwortet meine Frau, meist in Absprache mit mir. Dies scheint meiner Freundin gutzutun, sie weiß jedoch nicht, dass meine Frau in meinem Namen ­antwortet. Ist es in Ordnung, weil sie sich dann besser fühlt, oder hintergehe ich so meine Freundin? PS: Auch diesen Text hat meine Frau für mich verfasst.« Anonym, per Mail

Ihr Wunsch, Ihrer Jugendfreundin durch deren Krise zu helfen, ist sehr ehrenvoll. Man kann sich leicht vorstellen, dass einen ein solcher plötzlicher Mitteilungsdrang überfordert, zumal es da ja vermutlich um sehr persönliche Dinge geht, tragische Dinge, auf die Sie irgendwie reagieren müssen, um nicht gänzlich herzlos zu wirken. Und das alles, obwohl man sich garnicht mehr so nahestand. Das ist doch schon auch ein wenig seltsam, finden Sie nicht? Hat diese Frau denn keine näheren Freunde? Leute, die sich vielleicht nicht so überfallen fühlen von ihren Offenbarungen?

Wenn man es mal etwas kritischer betrachten möchte, werden Sie hier schon auch ­benutzt. Ihre Jugendfreundin ist jedenfalls keineswegs nur ein armes Opfer, sondern weiß sich schon ganz gut zu helfen. Nicht nur ist sie in Behandlung, was ja bedeutet, sie kümmert sich um sich – sie hat auch noch jemanden gefunden, bei dem sie bequem ihren ganzen seelischen Müll abladen kann. Sich erleichtern kann. Und, ohne Sie beleidigen zu wollen, allzu wichtig scheinen Sie als Person in dieser Kommunikation nicht zu sein. Es geht hier wohl hauptsächlich um den Vorgang des Abladens. Dies alles, um Sie mal ganz grundsätzlich zu entlasten.

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Sie müssen dieser Frau nicht helfen, das tut die schon selbst. Wenn Ihnen die Mails zu viel oder zu persönlich sind, teilen Sie ihr das ruhig mit. Und geben Sie der Freundin die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob Sie mit Ihrer Frau korrespondieren will. Schreiben Sie ihr, dass Sie in Zukunft leider nicht mehr dazu kämen, die Korrespondenz weiterzuführen, dass Sie ihr aber anbieten könnten, dass von nun an Ihre Frau für Sie übernimmt. Die beiden kennen sich ja auch. Auf diese Weise hat Ihre Schulfreundin die Wahl. Sie sind fortan entschuldigt. Und Ihre Frau muss nicht länger lügen.